Vom Mut, wissenschaftliche Konferenzen mal anders zu denken
02.05.2025

Solche und ähnliche Fragen treiben mich seit einigen Jahren um. Als Forschender gehörte die Teilnahme an wissenschaftlichen Konferenzen für mich gewissermaßen zu meiner Sozialisation und zum etablierten Modus wissenschaftlichen Arbeitens. In den vergangenen zehn Jahren bin ich jedoch zunehmend wählerisch geworden, was Konferenzen angeht. Natürlich lerne ich immer wieder spannende Menschen kennen und habe mit einzelnen Menschen gute, anregende Gespräche. Immer mehr frage ich mich jedoch: Wenn nun schon all diese spannenden Menschen von überall her anreisen, könnte man dann nicht mal wirklich kreativ gemeinsam denken? Könnte man nicht eine Art von Austausch organisieren, so dass nicht nur diejenigen miteinander sprechen, die sich sowieso schon kennen oder gemeinsame Bekannte haben?
Seit vielen Jahren organisiere ich als Teil meiner Forschung mit viel Freude und Erfolg Gruppenprozesse für inter- und transdisziplinäre Gruppen zwischen 5 und 50 Teilnehmenden unterschiedlichster Hintergründe, von Dialogformaten im Rahmen der UN-Klimakonferenzen über Strategie-Retreats klimabezogener EntscheidungsträgerInnen aus dem Bereich der Industrie bis hin zu Workshops, auf denen Gruppen von WissenschaftlerInnen aus dem Bereich der Erdsystemwissenschaft oder auch der Hirnforschung innovative Ideen, Publikationen oder Forschungsvorhaben entwickeln. Dabei stelle ich immer wieder mit Erstaunen fest, wie viel möglich ist, wenn man eine Gruppe von Menschen dabei unterstützt, wirklich „als Gruppe“ oder „als Organismus“ gemeinsam zu arbeiten. Ich fragte mich jedoch, wie viel davon nur möglich ist, solange die Gruppe nicht allzu groß oder nicht allzu heterogen ist. Schon länger hatte ich daher Lust, den Schritt hin zur nächstgrößeren Gruppengröße zu wagen.
Vor eineinhalb Jahren kam dann unerwartet die Einladung für genau ein solches Ausprobieren. Unser Direktor Mark Lawrence wurde vom BMBF angesprochen, ob er nicht Ideen hätte, wie man das Konferenzformat des FONA-Forums mal innovativer aufsetzen könnte. Das RIFS (früher IASS) würde doch seit längerem mit innovativen Kommunikationsformaten experimentieren und hätte doch sicher Erfahrungen und Ideen dazu. Mark Lawrence verwies auf mich, und nach einem ersten Kennenlernen hatte ich rasch Feuer gefangen. Aufseiten des BMBF bestand ehrliche Lust, mal ein lebendigeres Format auszuprobieren. Sie selbst hatten (ebenso wie ich) keine klare Vorstellung davon, wie es am Ende aussehen sollte (was mich wiederum freute), sondern fragten sich vor allem, was die FONA-Community bräuchte und was das BMBF als fördernde Organisation sinnvollerweise anbieten könnte. Ein stückweit auch noch als Nachwehen der Corona-Pandemie bemerkten sie, dass viele Kontakte über den eigenen Tellerrand hinaus nicht mehr so lebendig waren. Sie wünschten sich eine „Belebung der Community“ und eine Konferenz, die die Anwesenden „nicht nur konsumieren“ lässt, sondern einen wirklich inspirierenden Austausch ermöglicht und gleichzeitig Erkenntnisse hervorbringt, die für die Anwesenden möglichst unmittelbar in ihrem Forschungsalltag relevant und hilfreich sind.
Es führt für diesen Blogbeitrag zu weit, hier im Detail zusammenzufassen, in was für einen gemeinsamen Denk- und Arbeitsprozess wir von da aus eingestiegen sind. Es war eine intensive gemeinsame Arbeit, in der viel wechselseitiges Lernen stattfand und in dem sich erst relativ spät klärte, was für ein Format die vielen unterschiedlichen Anliegen und Bedarfe integrieren könnte. Von allen Beteiligten – nicht zuletzt auch vom Veranstaltungsort – erforderte es bis zuletzt ein hohes Maß an Flexibilität, Vertrauen und Bereitschaft zum Experimentieren. Umso mehr freut es mich, was am Ende herausgekommen ist und wie im Nachhinein das vorläufige Fazit ausfällt.
Hatten wir zunächst noch Sorge, dass möglicherweise niemand kommen würde, wenn wir zu einer Konferenz einladen ohne einen einzigen Keynote-Vortrag, so wurden wir eines Besseren belehrt. Wir hatten weitaus mehr Anmeldungen und Interessenten, als wir unterbringen konnten. Es wurde ein hoch interaktives Treffen von rund 200 Menschen aus Wissenschaft, Wirtschaft, Politik und Gesellschaft, in das wir sogar noch eine Art „forschende Rolle“ für die rund 35 Teilnehmenden vonseiten des BMBF und der verschiedenen Projektträger integrierten. Unser kürzlich erschienener Beitrag in der GAIA fasst ein paar Kernelemente des Prozesses und auch einige erste Erkenntnisse und Ergebnisse zusammen.
Falls Sie selbst nicht dabei waren und sich einen Eindruck verschaffen möchten, was für einen Prototyp einer wissenschaftlichen Konferenz wir letztlich gemeinsam entwickelt haben, dann empfehle ich Ihnen einen Blick auf die FONA-Webseite und hier vor allem auch das kurze Video, das von der Konferenz entstanden ist. Es vermittelt hoffentlich einen Eindruck von der Lebendigkeit des Austausches über Fachdisziplinen und Themengrenzen hinweg.
Eines kann ich in jedem Fall festhalten: Für uns alle, auch mich selbst, war es ein erhebliches Verlassen unserer Komfortzone, und es hat wirklich große Freude gemacht. Es war viel Arbeit und war mit vielen, auch nicht immer leichten Erkenntnissen verbunden. Genau dafür bin ich Forscher. Es hat die Mühe mehr als gelohnt.
Vielleicht haben Sie ja ebenfalls Lust, in Ihrem eigenen (Forschungs-)Umfeld ein wenig zu experimentieren. Vielleicht sind ja auch Sie für Meetings, Workshops oder Konferenzen verantwortlich und fragen sich, ob es lohnen könnte, mal etwas anders zu machen. Sie könnten überrascht werden, wie vieles möglich wird, was Sie sich vorher nicht vorstellen konnten. Ich wünsche Ihnen in jedem Fall viel Freude und gute Gefährten dabei, gemeinsam Neues zu wagen.