Forschungsinstitut für Nachhaltigkeit Helmholtz-Zentrum Potsdam

Klima und Meere gemeinsam schützen – Politikempfehlungen für Deutschland

16.05.2022

Mangrovenwälder, Seegraswiesen oder Salzwiesen, Makroalgen und Meeressedimente: Diese marinen Ökosysteme können atmosphärisches CO2 aufnehmen und langfristig speichern. Aufbauend auf einer Literaturstudie wurden für eine Publikation des Instituts für transformative Nachhaltigkeitsforschung (IASS) Empfehlungen für die deutsche Meeres- und Klimapolitik entwickelt.

Mangroven Brasilien CO2-Senke
Küstennahe Blue-Carbon-Ökosysteme wie etwa Mangrovenwälder wie auf dem Foto, aber auch Seegraswiesen lagern jedes Jahr über 80 Millionen Tonnen Kohlenstoff ein.

Der Ozean absorbiert 20 bis 35 Prozent der von Menschen verursachten CO2-Emissionen, was ihn global betrachtet zur signifikantesten CO2-Senke macht. Eine neue IASS-Studie widmet sich dem Konzept des „Blue Carbons“: Der Begriff steht für Kohlenstoff, der im Ozean und in Küstenökosystemen gespeichert ist. Blue Carbon wird als Gegenstück zu Kohlenstoff, welcher durch fossile Brennstoffe emittiert wird („black carbon“ oder „brown carbon“), verstanden und gilt als Pendant zu „green carbon“ – dieser steht für von Wäldern und in Sedimenten gespeicherter Kohlenstoff. Das Konzept Blue Carbon wird seit der 15. Vertragsstaatenkonferenz der UN-Klimarahmenkonvention (COP15) als Klimaschutzmaßnahme erforscht und in politische Prozesse eingebracht, allerdings verzögert sich die Umsetzung von wissenschaftlichen Erkenntnissen in klimapolitische Aktivitäten.

Wie wirkt der Klimawandel auf die Meeresnatur?

Anthropogene Einträge haben den Kohlenstoffgehalt in den Weltmeeren über Jahrzehnte erhöht. Ebenso steigt durch den Klimawandel unter anderem die Meerestemperatur an. Die folgenden klimabedingten Belastungen sind vor allem für die Meeresumwelt relevant:

  • Erwärmung des Ozeans
  • Versauerung des Ozeans
  • Meeresspiegelanstieg
  • Häufigere und stärkere Stürme und Sturmfluten
  • Sauerstoffverlust

Neben einem Verlust der Artenvielfalt in den Meeren führen diese Veränderungen auch zu einer Beeinträchtigung des Beitrages der Meere zum Klimaschutz. Das Autorenteam der IASS-Studie erörtert die durch das sich ändernde Klima hervorgerufenen Belastungen auf die Meeresumwelt und das globale Ausmaß unter besonderer Berücksichtigung der sogenannten Blue-Carbon-Ökosysteme.

Blue Carbon kann zu „negativen Emissionen“ führen

Das über Blue-Carbon-Ökosysteme gebundene CO2 darf im Rahmen der globalen Kohlenstoffsenken zu sogenannten „negativen Emissionen" gezählt werden. Dieser Ansatz darf jedoch nicht dazu führen, dass die notwendigen politischen und wirtschaftlichen Schritte in Richtung einer CO2-neutralen Zukunft vernachlässigt werden. Vielmehr sollte die Wiederherstellung und Rehabilitation von Blue-Carbon-Ökosystemen als natürlichen Kohlenstoffsenken als zusätzliches Mittel für signifikante globale Emissionsreduktionen eingesetzt werden, so das Autorenteam. Zugleich könnten durch Blue-Carbon-Maßnahmen auch positive Effekte für den Schutz bedrohter Arten und Lebensräume sowie für die von intakten Meeren abhängigen Küstenbewohnern erzielt werden.

Auf globaler Ebene können derzeit die küstennahen Blue-Carbon-Ökosysteme wie Mangroven, Seegraswiesen und Salzwiesen jedes Jahr über 80 Millionen Tonnen Kohlenstoff einlagern. Dieses Potential, den Kohlenstoff zu speichern und zu binden, sollte in nationalen und globalen Klimaschutzstrategien berücksichtigt werden.

Wird das Blue Carbon-Konzept in klimapolitische Ansätze einbezogen, sollten allerdings die folgenden Aspekte berücksichtigt werden, so die Autorinnen und Autoren:

  • Um den in Sedimenten von Blue-Carbon-Ökosystemen gespeicherten Kohlenstoff auf unbestimmte Zeit zu binden muss das Ökosystem ungestört bleiben. Bemühungen zur Wiederherstellung und zum Erhalt von Blue-Carbon-Ökosystemen zum langfristigen Erzielen von negativen Emissionen müssen demnach genauso langfristig gestaltet werden.
  • Verschiedene Einschränkungen derzeitiger Methoden zur Datensammlung führen zu Unsicherheiten in der Berechnung des regionalen und globalen CO2-Sequestrierungspotentials von Blue-Carbon-Ökosystemen. Genauere Schätzungen der globalen Ausdehnung von Blue-Carbon-Ökosystemen sind daher Voraussetzung für die Beitragsbewertung zum globalen Kohlenstoffkreislauf.
  • Auch wenn unter klimapolitischer Ansicht das Ausschöpfen des Speicherpotentials von Blue-Carbon-Ökosystemen auf globaler Ebene als primäre Zielsetzung gelten sollte, müssen lokale Begebenheiten und Kompromisse bei der Nutzung von Ökosystemen bei Maßnahmen zum Erhalt und zur Wiederherstellung mit berücksichtigt werden. Die Einbindung von lokalen Nutzern des Ökosystems erleichtert die langfristige Planung und Management von Blue-Carbon-Projekten und ist für deren Erfolg notwendig.

Klimarelevante Co-Benefits beim Erhalt von Blue-Carbon-Ökosystemen

Über die CO2-Sequestrierung hinaus wirken Blue-Carbon-Ökosystemleistungen und -funktionen zum Beispiel als Regulierungs- und Schutzmechanismus vor den Auswirkungen des Klimawandels auf die Meeresnatur. Folgende weitere klimarelevante Co-Benefits von Blue-Carbon-Ökosystemen können identifiziert werden:

  • Mangrovenwälder, Seegraswiesen (Nord- und Ostsee) und Salzwiesen können zum Küstenschutz beitragen und vor Erosion, Stürmen und Sturmfluten schützen. Intakte Mangrovenwälder können auflaufende Wellenhöhen um 80 Prozent reduzieren, auch Salzwiesen können Wellen dämpfen und somit Küstenregionen vor Erosion, Sturmfluten und Überschwemmungen schützen.
  • Alle Blue-Carbon-Ökosysteme tragen durch die Förderung der marinen Kohlenstoffsenke zur Entsäuerung des Ozeans bei. Manche Blue-Carbon-Ökosysteme, wie Seegraswiesen oder Kelpwälder, können ebenso die Folgen von Ozeanversauerung eindämmen.
  • Mangrovenwälder und Seegraswiesen vermögen die lokalen Folgen von Sauerstoffverlust im Ozean auf umliegende Ökosysteme zu reduzieren. Manche Mangrovenarten können weitere Nährstoffe wie Nitrite, Ammoniumstickstoff und reaktiven Phosphor in Küstengewässern verringern, während Salzwiesen das Meerwasser von Metallen reinigen.

Über ihre klimarelevanten Funktionen hinaus können Blue-Carbon-Ökosysteme weitere Bereiche der globalen nachhaltigen Entwicklung stärken und soziokulturellen Nutzen für die lokale Bevölkerung haben. Dazu zählt der Schutz der Biodiversität mit positivem Effekt auf die lokale Fischereiwirtschaft, Tourismusbranche und die Nahrungssicherung in der jeweiligen Region.

Sechs Empfehlungen für die deutsche Meerespolitik

  1. Rehabilitation, Ausweitung und Schutz von Blue-Carbon-Ökosystemen im Bereich der deutschen Küsten an Nord- und Ostsee
  2. Strategische Integration von Klima- und Meeresschutzzielen sowie synergetische Zielsetzungen zwischen Meeres- und Biodiversitätsschutz in Deutschland auch durch Einbindung von Blue-Carbon-Ökosystemen in ein integriertes Küstenmanagement und in die Meeres-Raumplanung
  3. Berücksichtigung von nationalen Blue-Carbon-Ökosystemen (Seegraswiesen und Salzwiesen) in Nationally Determined Contributions (NDCs) der EU und Einbeziehung des Blue-Carbon-Konzepts in die deutsche Nachhaltigkeitsstrategie sowie das deutsche Klimaschutzprogramm 2030
  4. Engagement Deutschlands in der UNFCCC und anderen relevanten multilateralen Prozessen, um die Integration des Blue-Carbon-Konzepts in verschiedene Politikbereiche- und politische Prozesse zu unterstützen
  5. Relevante internationale Allianzen, die sich für die Anerkennung von Blue Carbon in internationale klimapolitische Prozesse einsetzen, unterstützen und so auch vom Wissensstand anderer Partner profitieren
  6. Verstärkte Förderung von Blue-Carbon-Projekten im internationalen Raum mit nationalen Regulierungs- und Finanzierungsmechanismen etwa über die „Internationale Klimaschutzinitiative“ (IKI), übergreifende Abstimmung bestehender Finanzierungs-instrumente der Bundesregierung

Diese politischen Handlungsempfehlungen wurden gemeinsam mit dem Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz, nukleare Sicherheit und Verbraucherschutz entwickelt.

Publikation:

Röschel, L., Unger, S., Thiele, T., Neumann, B., & Boteler, B. (2022). Klimaschutz durch Meeresnatur: Potentiale und Handlungsoptionen. IASS Studie, 2022. DOI : 10.48481/iass.2022.010

Kontakt

Lina Röschel

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Wissenschaftliche Mitarbeiterin
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Sabine Letz

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Referentin Presse
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